„Ich komme mit der Welt einfach nicht zu Rande.“ Dieser verzweifelte Ausspruch Joseph Roths zieht sich wie ein Grundton durch das Leben des Schriftstellers, Journalisten und Exilanten. Nicht mehr als drei Koffer nannte er sein Eigen, immer unterwegs, auf der Suche nach Heimat sowohl einer politischen wie auch – ganz faktisch – einer wirklichen, einem Zuhause. Joseph Roth blieb Zeit seines Lebens ein Unbehauster, der allein in seinem geistigen Schaffen Halt und Existenz fand. Mit wilder Leidenschaft und Entschlossenheit (fast bis zuletzt) verfolgte er seine literarischen und auch politischen Pläne (in den letzten Jahren seines Lebens verstieg er sich zu der Hoffnung, in einer restaurativen Monarchie läge das Heil). Selbst ohne Familie kümmerte er sich um eine alleinerziehende Mutter und deren Kinder, eigentlich ein gutverdienender Autor, war er doch permanent in erdrückenden Geldsorgen. Als unbequemer Denker und Autor zudem auch noch Jude musste er seine Heimat Österreich verlassen und fand Exil in Frankreich. Ein Leben zwischen den Stühlen, auf gepackten Koffern, Rettung lag nur im schriftstellerischen Schaffen, was ihn aber gleichzeitig an den Rand der körperlichen und seelischen Erschöpfung trieb. Seine geistige Freiheit presste er den widrigsten Umständen ab, seine Alkoholkrankheit zerstörte sein Leben sukzessive weiter, bis er am 27. Mai 1939 in Paris im Delirium Tremens verstarb. Ihn verband mit Stefan Zweig die Nabelschnur der Freundschaft. Über alle Widrigkeiten hinweg hielt der Kosmopolit, der feingebildete Autor von Weltruhm Stefan Zweig dem so gefährdeten Joseph Roth die Treue mit Worten, aber auch mit ganz praktischer Hilfe finanzieller und lebenspraktischer Art. Ein jahrelanger Briefwechsel entstand, der erst kurz vor Roths Tod endete. Beide Schriftsteller verband die Erfahrung des Exils, des Vertriebenseins aus ihrer Heimat und aus ihrer Sprache. Beide litten bis zum Tode am Ungeist ihrer Zeit in Form von Nazismus und Antisemitismus, Weltkrieg und Holocaust. Roth suchte im Alkohol Vergessen, Stefan Zweig wählte zusammen mit seiner jungen Frau den Freitod im brasilianischen Exil. Am 12. Dezember um 19.30 Uhr wurde diesen Linien dieser Freundschaft nachgegangen und gleichzeitig zeitgenössische Erfahrung von Fremdheit und Exil zur Sprache gebracht. Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II erzählten ganz persönlich von ihren Migrationserfahrungen, von sprachlos Schlimmen, aber auch von Hoffnung, die sich mit einer neuen Heimat verbinden kann.
Auf einer dritten Ebene wurden Szenen aus Joseph Roths Roman Hiob dargestellt, auch hier begegnete uns thematisch die Erfahrung von Heimatverlust und (bei Roth ganz utopisch-legendär) der Öffnung zu neuer Hoffnung. Das Publikum tauchte ein in einen berührenden Abend voller Wehmut und konnte teilhaben an zutiefst menschlichen Begegnungen. Der Abend wurde gestaltet von Mitgliedern des Deutschleistungs- und Grundkurses der Q2 unter Leitung von Frau Witte und Frau Schlittenbauer und des Literaturkurses der Q1. Für eine verlässliche Technik waren – wie schon so oft – Hendrik Wiethege, Jan Schorn,Tim Hilse (Jg.7) und Ian Güttes (Jg.6) verantwortlich (mit freundlicher Unterstützung durch Jan Gutzeit, Q2). Friedemann Engwald ließ Joseph Roth und Albert Lopez-Torres Stefan Zweig lebendig werden. Darsteller der Familie Mendel waren Sven Bergengruen (Mendel Singer alias), Helena Peijcic (Mendels Frau Deborah), Tatyana Timoshenko (Mendels Tochter Mirijam), Nico Koch (Mendels Sohn Shemarjah), Simon Gabriel (sein jüngster Sohn Menuchim), Jan Gutzeit (sein verschollener Sohn Jonas). Als Vorleserinnen und Autorinnen zum Thema Fremdheit und Heimat traten auf: Amira Cadi, Josephine Ohlmer, Lana Himoud, Vanessa Leybold und Sara Malitzky. Danke an alle Beteiligten für diesen Brückenschlag von der Gegenwart in die Vergangenheit!
C. Schlittenbauer