Am 13. Juni besuchte Judith Hermann das Konrad-Adenauer-Gymnasium und hielt in unserer Aula eine Lesung. Sie las aus ihrem Erzählband Sommerhaus später ihre gleichnamige Kurzgeschichte. Diese Erzählung gehört dieses Jahr neben Klassikern wie Goethes Faust und Kleists Marquise von O… zur Pflichtlektüre für das kommende Abitur. Die Erzählung handelt von der Bekanntschaft der Erzählerin mit einem mysteriösen Taxifahrer. Deren Entwicklung verfolgt der Leser mit. Dabei erfährt man einiges über die Beziehung der Protagonisten zueinander und ihr Umfeld, ihre Sicht aufs Leben, auf die Welt und sich allmählich anbahnenden Konflikte. Dennoch blieben nach dem Lesen noch viele Fragen offen, die wir im Deutschkurs bereits vorher gesammelt hatten. Und nun hofften wir auf Antworten der Autorin. Zur Lesung waren die Q1 des Konrad-Adenauer-Gymnasiums und des Amos-Comenius-Gymnasiums eingeladen. Nach einer musikalischen Einleitung von Hannah Stähle und Alexia Lechner (9. Klasse), am Piano begleitet von Herrn Waasem, durften wir Judith Hermann auf die Bühne bitten. Es war spannend, die uns wohlbekannte Geschichte im Duktus der Autorin zu hören und die Erzählung so auf eine Weise zu erfahren, wie es durch das bloße Lesen unmöglich ist. Susana Glaza und Lennart Eberwein aus dem Deutschkurs von Frau Schestag hatten im Anschluss die Möglichkeit, unsere Fragen direkt an die Autorin zu richten. Zunächst ging es um das Schreiben und das Leben als Autorin im Allgemeinen: Wie sie zum Schreiben gekommen ist, ob man als Schriftsteller von der eigenen Arbeit leben kann, was die beste Umgebung zum Schreiben ist. Schnell ging es dann aber um die konkrete Inspiration für die Erzählung. Viele der verwendeten Motive spiegeln Stimmungen und Sehnsüchte wider, die die Autorin empfindet. Doch die einzelnen Charaktere, so wurde im Verlauf der Veranstaltung deutlich, basieren auf konkreten Personen aus dem Leben der Autorin. Einige Antworten der Autorin überraschten uns. Beim Lesen und der Analyse der Erzählung im Unterricht hatten wir nach Wegen gesucht, die Geschehnisse zu deuten und wollten natürlich gerne wissen, ob unsere Denkweise mit der von Judith Hermann übereinstimmt. Doch bei der Konfrontation der Autorin mit unseren Interpretationsansätzen stellte sich heraus,
dass sie selbst keinen Anspruch auf eine perfekte Interpretation erhebt. Das Buch gehört jetzt euch, sagte sie. – Sie habe keinen Einfluss mehr darauf, wie ihre Geschichten gelesen würden. Es liege in der Verantwortung eines jeden Lesers, den eigenen Sinn aus der Erzählung zu schöpfen. Angesichts der Tatsache, dass ihr Buch nun neben den Klassikern im Deutschunterricht gelesen und interpretiert wird, zeigte Frau Hermann gemischte Gefühle. Es sei gut für die Schüler auch mal eine Abwechslung zu haben, doch gingen durch die Interpretation und den Anspruch, jedes letzte Wort analysieren zu müssen, Teile der Leseerfahrung verloren. Man müsse darauf vertrauen, was die Geschichte in einem auslöst, egal ob man damit einen Erwartungshorizont ausfüllt., so Judith Hermann. Sie verbindet diese Sichtweise mit einem Appell für das Lesen an sich. Auch ohne die Maßstäbe, welche die Schule setze, könne man kritisch zwischen den Zeilen lesen und für sich einen Sinn im Werk sehen. Wir bedanken uns bei Frau Kühlwetter und Frau Schestag für die Organisation der Lesung und natürlich bei Judith Hermann für spannende Einblicke und neue Perspektiven!
Annika Dreyer und Simon Kroseberg, Q1
Fotos: Leon Sohl und Robert Müller-Uri